Covid-Schutzimpfung Kinder gegen Eltern
05.12.2021


Meine Eltern sind gegen die Corona-Schutzimpfung. Was kann ich tun? Kann ich allein entscheiden?

Die STIKO hat eine allgemeine COVID-19-Impfempfehlung für alle Kinder ab dem 12. Lebensjahr ausgesprochen, eine solche für Kinder ab dem 5. Lebensjahr wird – Stand 01.12.2021 – geprüft.Doch welche Möglichkeiten haben Kinder, wenn ein oder beide Elternteile gegen die Impfung sind?

Die Impf-Frage ist für das Kind eine Regelung von erheblicher Bedeutung i.S.d. § 1628 Satz 1 BGB. Das Familiengericht kann auf Antrag die Entscheidung einem Elternteil übertragen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hatte zur Corona-Schutzimpfung am 17.08.2021 entschieden, dass im Streitfall eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf den der Empfehlung der STIKO vertrauenden Elternteil erfolgt. Damit folgt es der Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 03.05.2017 - XII ZB 157/16), der beiUneinigkeit der Eltern über die Durchführung einer Impfung ebenfalls die Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf den Elternteil befürwortet hatte, der die Impfung des Kindesentsprechend den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission beim Robert-Koch-Institut möchte; jedenfalls dann, wennbei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen.

Nach Ansicht des OLG Frankfurt am Main steht dem Jugendlichen aber nicht per se ein Alleinentscheidungsrecht in medizinischen Fragen, auch nicht in Bezug auf die Corona-Schutzimpfung zu. Das Gericht ist der Auffassung, dass es selbst bei vorhandener Einwilligungsfähigkeit eines fast 16-jährigen Kindes eines Co-Konsenses zwischen Eltern und Kind bedarf oder eben die Übertragung der Entscheidungsbefugnis, wenn sich ein Elternteil quer stellt. Für ein solches Zustimmungserfordernis spricht sicherlich, dass den Eltern gem. § 1626 Abs. 1 BGB die Personensorge für ihr Kind zusteht.

Angesichts der Tatsache, dass die Corona-Schutzimpfung aufgrund der STIKO-Empfehlung nicht als riskant, sondern als medizinischer Standard einzustufen ist, teile ich diese Einschätzung allerdings nicht. Jugendlichen kann nach meiner Auffassung sehr wohl ein Alleinentscheidungsrecht bezogen auf medizinische Eingriffe zustehen. Es ist allerdings eine Einzelfallabwägung vorzunehmen.

So kann einem 16-Jährigen durchaus zugetraut werden, dass er die geistigen und sittlichen Reife besitzt, eine ärztliche Aufklärung zu verstehen und mithin die Bedeutung und Tragweite des beabsichtigten Eingriffs zu ermessen sowie dessen Nutzen und Risiken abzuwägen.

Wer an der Reife 16-jähriger Jugendlicher zweifelt, der sei daran erinnert, dass es die Jugend ist, die stark und selbstbewusst die Stimme in der Fridaysfor Future-Bewegung erhoben hat und eine wegweisende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz erstritten hat. SPD, Grüne und FDP beabsichtigen angesichts der Reife der Jugendlichen gar das Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken.

Ein Alleinentscheidungsrecht hat in der Vergangenheit beispielsweise auch das OLG Hamm (Beschluss vom 29.11.2019 – 12 UF 236/19) bei einem Schwangerschaftsabbruch angenommen. Auch das Landgericht München II (Urteil v. 22.9.2020 – 1 O 4890/17) hat minderjährigen Patienten zumindest ein Veto-Recht gegen die Fremdbestimmung durch die Eltern zugesprochen.

v Das Alleinentscheidungsrechts kann auf § 1626 Abs. 2 BGB gestützt werden.Denn die Eltern müssen die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis ihres Kindes zu selbstständigem verantwortungsbewusstem Handeln berücksichtigen. Wenn Minderjährige also die nötige Reife aufweisen, eine medizinische Entscheidung fundiert treffen zu können, ist dem Selbstbestimmungsrecht der Vorrang vor dem elterlichen Erziehungsrecht einzuräumen. Voraussetzung ist, dass der Jugendliche die Einsichtsfähigkeit sowohl bezogen auf den medizinischen Eingriff als auch die Rechtsgüterabwägung besitzen muss. Zudem muss der Jugendliche auch die Reife zur Bewertung des Eingriffs in Hinblick auf mögliche psychische Belastungen aufweisen. (vgl. so auch OLG Hamm, NJW 2020, 1373 Rn. 19 ff. m.w.N., beck-online)

Einwilligungsfähigen Jugendlichen steht also grundsätzlich ein Alleinentscheidungsrecht hinsichtlich eines medizinischen Eingriffs und damit auch einer Corona-Schutzimpfung zu. Sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, sich der Entscheidung des Kindes anzuschließen, so kann das Familiengericht Maßnahmen nach § 1666 BGB treffen.