Der Beginn des europäischen Gesellschaftsrechts oder die deutsche GmbH in Konkurrenz zur UK-Ltd.


1.)

Es begann 1988 mit der "Daily-Mail" Entscheidung. Damals entschied der EUGH, dass die Entscheidung des englischen Schatzamtes, die einer nach englischem Recht gegründete Investmentgesellschaft die Verlegung ihres Geschäftssitzes nach den Niederlanden verbot, korrekt war. Der EUGH war der Auffassung, ein solches Verbot verstoße nicht gegen die Niederlassungsfreiheit, weil die Gesellschaft ja Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften gründen könne.

Dies war die Bestätigung der deutschen Auffassung, dass für eine Gesellschaft nur das Gesellschaftsrecht gilt, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. Eine englische "Limited", die ihren Sitz nach Deutschland verlegte, galt hier als "nullum" weil es eine solche Gesellschaftsform in Deutschland nicht gibt; oder eine deutsche Kapitalgesellschaft, die unter Wahrung ihrer Identität ins Ausland "umzog" galt als aufgelöst, weil es solche Gesellschaftsformen an ihrem Sitz im Ausland nicht gab. Die so genannte "Sitztheorie" schien durch Europa bestätigt.

Die entgegenstehende "Gründungstheorie" (Es gilt das Recht des Ortes, an dem die Gesellschaft gegründet wurde, gleichgültig wo sie später ihren Sitz hatte) schien verloren zu haben.

2.)

Im Jahre 2004 sieht die Rechtsprechung des EUGH anders aus. Die inzwischen ergangenen EUGH Entscheidungen "Überseering" (Vorlagebeschluss des BGH),"Centros" und "Inspire Art" (Vorlage des Kantongerecht Amsterdam) brachten die 90 Grad Wende: Jetzt entschied der EUGH: Es verstößt gegen Art. 43 und 48 EG, einer nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates wirksam gegründeten Kapitalgesellschaft die Rechts- und Parteifähigkeit aufgrund ihrer Sitzverlegung nach Deutschland (bzw. Niederlande) abzuerkennen. Vielmehr bestehe die Verpflichtung, die Partei- und Rechtsfähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaates besitzt. Seit diesen Entscheidungen ist das Gesellschaftsrecht aller europäischer Staaten offen: d.h. die entscheidende Frage ist: wie werden sich die nationalen Gesellschaftsordnungen angesichts solcher Judikatur aufstellen? Gibt es eine gesamteuropäische Antwort im Sinne eines europäischen Gesellschaftsrechtes oder werden nationale Reaktionen zu erwarten sein. Ein zu Zeit noch offenes Ende mit vielen Fragezeichen: eine Teilantwort wird das am 08.10.2004 in Kraft getretene Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) sein. Eine europäische Aktiengesellschaft soll es dann geben. Aber diese schon lange vorbereitete Gesellschaftsform scheint durch die Entwicklung schon überholt; alles ist im Umbruch und es würde den Rahmen des Beitrages sprengen, wenn ich darstellen wollte "was kommt und kommen könnte".

Eins steht heute schon fest: Die englische Limited Company wird in der deutschen Beratungspraxis eine zunehmende Rolle spielen. Solche Gesellschaften erweisen sich derzeit als Schlager - ob berechtigt oder nicht- wie zuletzt einschlägige Zeitungsannoncen zeigen ("Limited schlägt GmbH. Yes!"). Jedenfalls zeigt sich auch in unserem "guten alten Gesellschaftsrecht" mit seinen festen Gesellschaftsformen, dass nichts mehr ist wie es mal war.

Das große Thema "Deutschland im Wandel" hat auch im Gesellschaftsrecht massiv Einzug gehalten.

Europa lässt grüssen.

Aber vielleicht hilft ein Blick auf die USA. Hier gab/gibt es das gleiche Problem bei den Gesellschaftsformen in verschiedenen Staaten. Hier wurde durch eine "Art Abwehrgesetzgebung" gegen laxe Gesellschaftsformen die Gründungstheorie abgemildert. Auswuchs von Gesellschaftsformen, die im Staate Delaware gegründet wurden, wurde so verhindert.

Weiterführende Literatur:
Wachter GMBHR 2003/1254ff; BGH in DB 2000/1114ff; BGH in ZIP 2002,2045; BGH in GmbHR 2003,527ff;
EUGH Urteil 30.09.2003. C-167/01"Inspire Art"Rn 53-72; DB 2003.2219-2220 ; Bungert Die GmbH im US-amerikanischen Recht- Close Corporation 1993 Seite 112 ff m.w.N.; Kersting NZG 2003 Seite 9,10.; Meilicke GmbHR 2003,2003ff, Nave in NWB Fach 15 Seite 4059


Rechtsanwalt und FA für Steuer- und Familienrecht Georg M. Hartmann