Rundschreiben EuGH-Urteil zum Urlaubsrecht



In den letzten Wochen hat ein Aufsehen erregendes Urteil des Europäischen Gerichtshofes zum deutschen Urlaubsrecht, das Arbeitgeberinteressen nur unzureichend berücksichtigt, für Wirbel gesorgt. Wir möchten Ihnen den Inhalt des Urteils darstellen, die möglichen negativen Konsequenzen aufzeigen, aber auch Strategien an die Hand geben, um den Problemen begegnen zu können.

Das deutsche Bundesurlaubsgesetz regelt in Umsetzung einer entsprechenden europarechtlichen Richtlinie einen gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch von vier Wochen, auf den weder Ausschlussfristen, noch Verjährungsfristen Anwendung finden. Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden, spätestens aber im Übertragungsfalle mit Ablauf des Übertragungszeitraums (31.03. des folgenden Kalenderjahres). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es so, dass der Urlaubsanspruch mit Ende des Übertragungszeitraums erlischt, wenn der Arbeitnehmer während des Urlaubsjahres und des Übertragungszeitraums arbeitsunfähig krank war. Ein Ausscheiden mit fortgesetzter dauerhafter Arbeitsunfähigkeit aus dem Arbeitsverhältnis führt zudem dazu, dass ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht besteht.

Nach Auffassung des Europäischen Gerichteshofes widerspricht das Erlöschen des Urlaubsanspruchs mit Ablauf des Übertragungszeitraums in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer seinen Urlaub in Folge von Arbeitsunfähigkeit nicht ausüben konnte, dem europäischen Recht. Das Gleiche gilt für das Erlöschen des Urlaubsabgeltungsanspruchs bei Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Zwar sei es dem nationalen Gesetzgeber unbenommen, den Verfall des Urlaubsanspruchs bzw. Urlaubsabgeltungsanspruchs am Ende eines Bezugszeitraums und Übertragungszeitraums vorzusehen. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, den gesetzlichen Mindesturlaub zu nehmen. Dies sei bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers gerade nicht der Fall.

Es stellt sich die Frage, wie mit dem Urteil des EuGH umzugehen ist. Die Folge einer unmittelbaren Anwendung des Urteils in der deutschen arbeitsgerichtlichen Praxis würde bedeuten, dass ein Langzeiterkrankter nach seiner Wiedergenesung auch für die Jahre seiner Erkrankung jeweils den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch von vier Wochen beanspruchen könnte. Dies deshalb, weil Ausschlussfristen und Verjährungen bislang nach dem deutschen Arbeitsrecht nicht anwendbar sind. Im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem solchen Langzeiterkrankten wären die angehäuften Mindesturlaubsansprüche abzugelten.

Ob das EuGH-Urteil unmittelbare Anwendung findet, ist im Bereich der privaten Arbeitgeber und Arbeitnehmer anders als bei öffentlichen Arbeitgebern noch ungeklärt. Festgestellt hat der EuGH letztlich "nur", dass die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bzw. Auslegung der deutschen Gesetze im Widerspruch zu der der gesetzlichen Regelung zugrunde liegenden europäi-schen Richtlinie steht. Der EuGH hat weder die hier relevanten §§ 7 Abs. 3, 4 Bundesurlaubsgesetz für unanwendbar erklärt, noch festgestellt, dass es den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub als primär rechtlichen Grundsatz ansehe, der unmittelbar Anwendung im Deutschen Arbeitsrecht findet. Von daher ist denkbar, dass das Bundesarbeitsgericht bis zu einer gesetzlichen Änderung das "eindeutige deutsche Recht" weiter anwenden wird. Insofern bleibt abzuwarten, wie das BAG und auch der Gesetzgeber reagieren.

Zur Absicherung für den worst case - unmittelbare Anwendung der neuen europarechtlichen Grundsätze zum gesetzlichen Mindesturlaub auch gegenüber privaten Arbeitgebern - empfehlen wir Ihnen, ggf. Rückstellungen in Erwägung zu ziehen, um sich gegen die finanziellen Risiken abzusichern.

Darüber hinaus sollte im Einzelfall geprüft werden, ob Langzeitkranke die wegen Ausschöpfung des Sechswochen-Bezugszeitraumes für Lohnfortzahlung eigentlich keine finanzielle Belastung darstellen, nicht doch gekündigt werden.

Vor diesem Hintergrund stellt sich noch die interessante Frage, ob aus der theoretischen Anhäufung von Mindesturlaubs- bzw. Abgeltungsansprüchen nicht eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen resultiert, die die Freisetzung von über einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmern künftig erleichtert.

Abschließend ist zu bemerken, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zwar über kurz oder lang das deutsche Arbeitsrecht erheblich beeinflussen wird, die damit einhergehenden Probleme jedoch lösbar sind.

Sollten diesbezüglich Fragen bestehen, oder aber der Wunsch, bereits jetzt individuelle Strategien für die sich abzeichnenden Veränderungen zu entwickeln, stehen wir jederzeit gerne zur Verfügung.


Rechtsanwältin Nina Dittmann-Kozub