Strafbare Handlung als Kündigungsgrund

Seminarvortrag Rechtsanwalt F.W. Dittmann



I. Einführung
Seit Anfang des Jahres gibt es die öffentliche Diskussion über die arbeitsrechtlichen Konsequenzen aus Anlass von Bagatelldiebstählen. Da die Rechtsprechung unter dem öffentlichen Druck ihre einheitliche Linie mehr oder weniger aufgegeben hat, ist es erforderlich, sich mit dem Thema zu befassen, zumal es in dem betrieblichen Alltag durchaus eine große Rolle spielt und inzwischen eine erhebliche Rechtsunsicherheit entstanden sein dürfte.

II. Bestandsaufnahme
1. Rechtsprechung bis zum Fall Emmely
Seit dem 17.05.1984 bestand in der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte Einigkeit. Unabhängig vom Wert einer entwendeten Sache wurde im Falle des Diebstahls oder der Unterschlagung von Eigentum des Arbeitgebers ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung angenommen. Damals ging es um die Wegnahme eines Stückes Bienenstichs durch eine Verkäuferin in einem Warenhaus. Das Verfahren lief durch drei Instanzen und wurde vom Bundesarbeitsgericht im Mai 1984 entschieden. Das Bundesarbeitsgericht bestätigte, wie die Vorinstanzen, dass durch die Handlung des Arbeitnehmers das notwendige Vertrauen in das ungestörte Arbeitsverhältnis entfallen sei und demgemäß die Kündigung berechtigt war. Bis in die jüngste Zeit blieb die Rechtsprechung konstant und war für alle Beteiligten berechenbar.

2. Der Fall Emmely
Eine Kassiererin in einem Berliner Supermarkt namens Emmely hat mit Hilfe der Gewerkschaft und einer Truppe in der Regel inkompetenter Meinungsbilder in Talkshows die Rechtsprechung zur Aufgabe der klaren Linie gebracht. Hierbei wurden bereits wesentliche Bestandteile des Sachverhaltes bewusst unterschlagen. Emmely hatte die Kassenbons im Wert von 1,30 € keineswegs gefunden, wie immer wieder behauptet wird, sondern von einer Vorgesetzen zur Aufbewahrung ausgehändigt erhalten. Das hat sie nie gehindert, im Verfahren mehr oder weniger unverhohlen zu behaupten, die Aneignung sei ohne große Bedeutung und es ginge letztlich darum, sie als Gewerkschaftsmitglied abzustrafen. In Wirklichkeit lag ein durchaus erheblicher Vertrauensbruch vor, der durchaus eine klare Konsequenz erfordert hätte. Gerade im sensiblen Bereich der Kasse im Einzelhandel, ist ein uneingeschränktes Vertrauensverhältnis unverzichtbar. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg sah dies berechtigterweise genauso, was zur Folge hatte, dass die Vorsitzende Richterin in der Folgezeit unter Polizeischutz genommen werden musste, da der Druck der Straße und der Medien bereits aufgebaut war.

Diesem Druck wollte das Bundesarbeitsgericht offenbar nicht aushalten und erklärte die Kündigung für rechtswidrig. Zwar hielt man an der These fest, dass auch die Wegnahme geringwertiger Dinge ein Grund zur fristlosen Kündigung sein könne, allerdings habe Emmely sich durch störungsfreie Arbeit von über drei Jahrzehnten ein hohes Maß an Vertrauen erworben, welches nicht durch einen einmaligen Kündigungssachverhalt vollständig zerstört wurde. Danach erwirbt ein Arbeitnehmer quasi über Jahre "Bonusmeilen", die irgendwann zur konsequenzlosen Straftat eingesetzt werden können. Eine seltsame These, die von juristischen Fachleuten in der Folge sehr deutlich kritisiert wurde.

Emmely hatte in den Verfahren nie zu ihrem Handeln gestanden, es vielmehr sogar auf Dritte geschoben, diese unter Verdacht gebracht und keinerlei Reue gezeigt. Wie soll vor dem Hintergrund noch ein bestehendes Vertrauen in die Redlichkeit einer Kassiererin angenommen werden, die sogar von ihrer Funktion her eine besonders vertrauensabhängige Position einnimmt.

III. Bewertung der Entscheidung
Der grundsätzliche Fehler, dem die meisten Meinungsbilder in den Talkshows unterlagen, ist das Verwechseln von Arbeitsrecht mit Strafrecht.

Es hat nie ein Zweifel daran bestanden, dass die fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses keine Sanktion oder Bestrafung für eine strafbare Handlung ist, sondern die Konsequenz aus dem verlorenen Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers. Es geht immer um eine Prognoseentscheidung dahingehend, ob man zukünftig mit einer störungsfreien Zusammenarbeit rechnen kann. Der Arbeitnehmer ist zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitsgebers verpflichtet. Ein vorsätzlicher Eingriff in die Rechtsgüter des Arbeitgebers verletzt die Loyalitätspflicht massiv. Gerade im Einzelhandel führt die Aufweichung der Rechtsprechung zu erheblichen Problemen. Abgesehen von dem wirtschaftlichen Schaden, der zum Teil auch an die Kunden weitergeben wird, stehen wieder Überwachungsaufwendungen zum Selbstschutz immer mehr im Vordergrund, die dann wieder medial angegriffen werden.

Die diskutierten strafrechtlichen Ansätze, wonach die Geringfügigkeitsgrenze des § 248 a Strafgesetzbuch von 50,00 € eine Grenzlinie zur Kündigung sein sollen, sind völlig untauglich und werden der Thematik des Vertrauensbruches nicht ansatzweise gerecht. Die frühere konsequente Haltung führt im Übrigen entgegen der medialen Darstellung keineswegs immer zur fristlosen Kündigung. Vielmehr gibt es zwei Prüfungsstufen:

1. Liegt ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vor?
2. Hat eine Interessenabwägung stattgefunden?

Auf der Stufe 2 hat der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen zu prüfen, ob Tatsachen vorliegen, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar erscheinen lassen. Hier und nicht bei dem Wert der Sache ist die Messlatte anzulegen, da Dinge wie die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, eine mögliche Wiederholungsgefahr, das Maß der dem Arbeitgeber entstandenen Schädigung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers sowie die Einsichtsfähigkeit des Arbeitnehmers zur berücksichtigen sind. Dabei sind Einzelfallentscheidungen möglich, die es durchaus nach einer positiven Prognose bei einer Abmahnung belassen können.

IV. Aktuelle Rechtsprechung und Ausblick
Im Laufe des Jahres hat sich eine Reihe von Entscheidungen angesammelt, die nur beispielhaft angeführt werden können:

  • Die Kündigung eines Arbeitnehmers, der ein im Müll lagerndes Kinderbett mitnahm, war unwirksam (LArbG München 13 Sa 59/09).
  • Die Kündigung wegen der Mitnahme von sechs Maultaschen war unwirksam (LArbG Baden-Württemberg 9 Sa 75/09).
  • Die Kündigung wegen Aufladen eines Elektrorollers (1,08 €) auf Kosten des Arbeitgebers war unwirksam (LArbG Hamm).
  • Die Kündigung wegen Mitnahme eines Brotes aus der Biotonne war unwirksam (ArbG Leipzig 3 Ca 1482/10).
  • Die Kündigung wegen Diebstahl eines Essensbons von 0,80 € war unwirksam (ArbG Reutlingen).

Es kann ohne weiteres sein, dass in dem einen oder anderen Fall richtig entschieden wurde, wenn nach der Interessenabwägung aller Gesichtspunkte und nicht nur unter Berücksichtigung des Wertes des Gegenstandes die Kündigung für unwirksam erklärt wurde. Einen generellen "Freispruch" wegen geringwertiger Güter darf und sollte es jedoch nicht geben. Abgesehen davon, dass für einen Arbeitgeber das Handeln in der Praxis völlig unkalkulierbar wird - bei welchem Eurobetrag will man die Grenze ziehen? - führt dies in der Praxis zu mehr Misstrauen statt Vertrauen, zu verstärkten Kontrollmaßnahmen und zu einer empfindlichen Störung des Verhältnisses von arbeitgeberseitiger Fürsorgepflicht und arbeitnehmerseitiger Treuepflicht, das wesentliche Säule des Betriebsfriedens in deutschen Unternehmen war und sein sollte.

Wohin die Rechtsprechung letztlich führt, hat das LArbG Berlin-Brandenburg zwischenzeitlich in einer Entscheidung vom 16.09.2010 (2 Sa 509/10) nachdrücklich bewiesen. Es hat die Kündigung einer Zugabfertigerin für unwirksam erklärt, die aus Anlass ihres 40-jährigen Dienstjubiläums 250,00 € für Cateringservice abrechnete, obwohl die Bewirtung nur 90,00 € gekostet hat.

Wenn das Schule macht: Gute Nacht Arbeitsrecht!

F.W. Dittmann
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht