Die krankheitsbedingte Kündigung

Vortrag Rechtsanwalt F.W. Dittmann
Mandantenseminar 28.11.2007


In einer Entscheidung vom 19.4.2007 (2 AZR 239/06) hat das Bundesarbeitsgericht sich nochmals zusammenfassend mit allen Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung auseinandergesetzt und diese nochmals festgeschrieben, so dass die Entscheidung als Grundlage für die tägliche Praxis in den Unternehmen in den genannten Fällen dient.

Dabei geht die Rechtsprechung nach wie vor von den 3 maßgeblichen "Säulen" der krankheitsbedingten Kündigung aus:

  • negative Zukunftsprognose wegen lang anhaltender Krankheit oder einer Vielzahl von Kurzzeiterkrankungen
  • eine auf der Prognose beruhende erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen
  • die Interessenabwägung die ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Unternehmens führt

Im Einzelnen:

I.Negative Zukunftsprognose

Um eine negative Zukunftsprognose zu stellen, muss zunächst der Ist-Zustand definiert werden. D.h. es muss eine lang anhaltende Krankheit vorliegen, wobei das Gesetz ebenso wenig eine Aussage trifft, wie die Rechtsprechung. In der Regel darf allerdings bei einer Krankheit von 1 bis 1 ½ Jahren von einer lang anhaltenden Krankheit ausgegangen werden.

Bei der Vielzahl von Kurzerkrankungen hilft die gedankliche Anwendung der 6-Wochen-Entgeltfortzahlungspflicht. D.h. wenn über einen Zeitraum von wenigstens 3 Jahren in jedem Jahr die 6 Wochen Entgeltfortzahlungspflicht eingetreten ist, kann man von einer Vielzahl von Kurzzeiterkrankungen ausgehen.

Liegt eine der beiden Voraussetzungen vor (lang anhaltende Krankheit / Vielzahl Kurzzeiterkrankungen), muss die Zukunftsprognose erfolgen. Die negative Zukunftsprognose liegt vor, wenn bei einer Langzeiterkrankung die Wiedergenesung in absehbarer Zeit nicht sichergestellt ist. Bei einer Vielzahl von Kurzerkrankungen liegt eine negative Zukunftsprognose vor, wenn auch in Zukunft mit solchen Arbeitsausfällen regelmäßig gerechnet werden muss.

Um seinem Sachvortrag im Prozess zu genügen, muss der Arbeitgeber versuchen, so viel wie möglich über die Gesundheitssituation des Arbeitnehmers herauszufinden, was angesichts der Schweigepflicht der Ärzte zwangsläufig mit Schwierigkeiten verbunden ist. Insofern muss versucht werden, den Arbeitnehmer zu befragen und je weniger die Auskunft ergibt, umso geringere Anforderungen sind an den Sachvortrag des Arbeitgebers zu stellen. Hier muss es zunächst genügen, dass der Arbeitgeber einen bestimmten Verlauf darstellt. Der Arbeitnehmer muss sodann aus seiner Sicht unter Darlegung der Fakten erläutern, warum mit seiner dauerhaften Genesung gerechnet werden kann.

II.Betriebliche Beeinträchtigung

Für die Darstellung der erheblichen betrieblichen Beeinträchtigung gibt es 2 Ansatzpunkte:

  • Betriebsablaufstörungen
  • wirtschaftliche Beeinträchtigungen

Zu den betrieblichen Beeinträchtigungen zählen Störungen des technischen oder organisatorischen Betriebsablaufes, wie Stillstand von Maschinen, Überlastung der Arbeitskollegen, Rückgang im Dienstleistungsgewerbe, etc.

Diese erheblichen Störungen dürfen sich nicht durch wenige einschneidende Mittel, wie die Umsetzung auf einen anderen verfügbaren und leidensgerechten Arbeitsplatz oder Überbrückungsmaßnahmen, wie die Einstellung einer Ersatzkraft ausräumen lassen.

Zu erheblichen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen der Arbeitgeberinteressen gehören erhebliche Lohnfortzahlungskosten für einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen, Kosten für Ersatzkräfte, Überstundenzuschläge oder Produktionsausfallkosten.

Die wirtschaftlichen Beeinträchtigungen wegen den Lohnfortzahlungskosten sind deshalb wichtig, weil diese für sich allein bereits eine betriebliche Beeinträchtigung darstellen können, ohne dass Betriebsablaufstörungen dargestellt werden müssen.

In keinem Fall reicht es aus, eine abstrakte Gefährdung darzustellen. Der Vortrag muss konkret sein.

Bei einem Langzeiterkrankten muss auch überprüft werden, ob durch die befristete Einstellung eines Mitarbeiters die Ausfallzeit überbrückt werden kann. Die 24 Monate, auf die ein Arbeitsverhältnis nach den heutigen gesetzlichen Grundlagen befristet werden kann, sind im Rahmen der Rechtsprechung ein wichtiger Anhaltspunkt geworden.

III.Interessenabwägung

Die betrieblichen Beeinträchtigungen müssen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen. Es hat eine Interessenabwägung mit den persönlichen Belangen des Arbeitnehmers stattzufinden.

Der Arbeitgeber hat Gesichtspunkte, wie die erhebliche Beschäftigungsdauer, die schlechten Arbeitsmarktchancen oder den Umstand, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf der beruflichen Tätigkeit beruhen, zu berücksichtigen.

Diese Kriterien sind den Interessen des geordneten Betriebsablaufes gegenüber zustellen und abzuwägen.

Sowohl im Rahmen der Prüfung der Betriebsbeeinträchtigung, als auch im Interessenausgleich ist ergänzend zu prüfen, ob ein so genannter leidensgerechter Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Der Arbeitgeber muss daher überprüfen, ob ein freier Arbeitsplatz vorhanden ist, an dem der Arbeitnehmer seine Beschäftigung ohne die Beeinträchtigungen ausführen kann. Hierbei ist es wichtig, dass keine Verpflichtung besteht, einen Arbeitsplatz freizukündigen, allerdings ist von Umsetzungsmöglichkeiten Gebrauch zu machen. Eine Besetzung mit einer höherwertigen Tätigkeit ist nicht vorgegeben, so dass sich die Prüfung des Arbeitgebers auf gleichwertigere oder geringwertigere Arbeitsplätze begrenzt.

IV.Ergänzungen

1.)
Bei einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit kommt es weder auf eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Belange an, noch auf einen Interessenausgleich, da in aller Regel ohne weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen ist.

Eine dauernde Leistungsunfähigkeit ist gegeben, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seiner gesundheitlichen Voraussetzungen dauerhaft außerstande ist, die von ihm geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen.

Von besonderer Bedeutung ist hier die Rechtsprechung, wonach die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsfähigkeit gleich steht, wenn in den nächsten ggf. 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann. In diesem Zusammenhang ist der Arbeitnehmer dafür beweispflichtig, dass zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung mit einer Wiederherstellung in absehbarer Zeit gerechnet werden musste.

2.)
Unsicherheiten im Zusammenhang mit der krankheitsbedingten Kündigung sind aufgetreten nach Einführung von § 84 I SGB IX. Danach schaltet der Arbeitgeber bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigem Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung ein, um mit ihr alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zu beraten und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann. Die Vorschrift dient in erster Linie präventiven Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit von Schwerbehinderten.

In einer Entscheidung vom 7.12.2006 hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt, dass das Unterlassen des Präventionsverfahrens nicht zwangsläufig zur Unwirksamkeit der Kündigung führt, allenfalls bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen ist.

Es macht allerdings durchaus Sinn, in der Praxis zumindest durch Gespräche mit dem Arbeitnehmer, insbesondere nach Erkrankungen zu klären, inwieweit seitens des Betriebes positiv auf die Entwicklung eingewirkt werden kann.

3.)
Bei der Betriebsratsanhörung ist es erforderlich, dass alle wesentlichen Entscheidungsgrundlagen der Kündigung dargestellt werden und auch insbesondere auf die Frage einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit an anderer Stelle eingegangen wird.

Soweit man bei Vorbereitung und Ausspruch der krankheitsbedingten Kündigung alle Vorgaben sorgfältig beachtet, bestehen durchaus gute Erfolgsaussichten bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung. Wegen der Komplexität der Probleme macht ein frühzeitiges Einbeziehen eines Fachanwaltes für Arbeitsrecht durchaus Sinn.


gez. F.W. Dittmann
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht