Die Vollstreckung europäischer Bußgeldbescheide in Deutschland
Halterhaftung vs. Fahrerhaftung

Mandantenseminar Maria Laach 2014

Regelmäßig vor Beginn der Sommerferien machen Automobilclubs und Medien auf die Verkehrsvorschriften in den europäischen Nachbarländern aufmerksam. Der Autofahrer wird meist unter Verweis auf das Urlaubsland Italien darauf hingewiesen, dass man sich dringen an die Verkehrsvorschriften des jeweiligen Landes halten sollte, da die Bußgelder selbst bei geringfügigen Zuwiderhandlungen in der Regel höher ausfielen, als bei vergleichbaren Verkehrsverstößen in Deutschland. Abschließend wird oft verallgemeinert und gewarnt, dass »EU-Knöllchen« ab 70 Euro auch in Deutschland vollstreckt werden können, wenn diese nicht bereits an Ort und Stelle bezahlt werden. Kann die Rechtslage tatsächlich auf einen Satz pauschalisiert dargestellt werden?


I. Rechtsgrundlagen

1. Rahmenbeschluss zur Geldsanktionsvollstreckung

Von zentraler Bedeutung für die Vollstreckung verkehrsrechtlicher Geldstrafen und Geldbußen aus europäischen Mitgliedstaaten in Deutschland ist das am 28.10.2010 in Kraft getreten »Geldsanktionsgesetz«. Das Gesetz dient der Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2005/214/JI des Europäischen Ministerrates vom 24.02.2005 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Geldstrafen und Geldbußen. Dazu wurden die §§ 86 bis 87p in das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) aufgenommen.

Der Rahmenbeschluss zielt auf die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen von mindestens 70 Euro innerhalb der Europäischen Union ab. Dabei wird nicht nur die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen ermöglicht, sondern auch rechtskräftiger Entscheidungen von Verwaltungsbehörden, solange der Betroffene im ausländischen Bußgeldverfahren die Möglichkeit hatte, die Entscheidung der Verwaltungsbehörde anzugreifen und eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen.

Die Umsetzung des Rahmenbeschlusses sollte in allen EU-Mitgliedstaaten eigentlich bis spätestens zum 22.03.2007 erfolgt sein, verzögerte sich jedoch teilweise (wie z.B. in Deutschland) oder eine Umsetzung ist bis heute noch nicht erfolgt.

Umgesetzt wurde der Rahmenbeschluss in den nachfolgenden Mitgliedsstaaten: Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakische Republik, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn, Vereinigtes Königreich, Zypern. (Übersicht: https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Gerichte _Behoerden/EUGeld/Informationen_node.html)

Nicht umgesetzt wurde der Rahmenbeschluss dagegen in den nachfolgenden drei Mitgliedsstaaten:

  • Griechenland
  • Irland
  • Italien (Gesetzgebungsverfahren wurde 2009 eingeleitet, die Umsetzung jedoch nicht mehr weiterverfolgt)

Mangels gegenseitiger Umsetzung ist eine Vollstreckung griechischer, irischer und italienischer Geldsanktionen in Deutschland und den anderen EU-Mitgliedstaaten derzeit nicht möglich.

2. Bilaterale Vollstreckungsabkommen

Eine weitere Ausnahme vom Grundsatz, dass deutsche Behörden und Gerichte nicht bei der Vollstreckung ausländischer Bußgeldbescheide helfen, bilden bilaterale Vollstreckungsabkommen. Deutschland hat solche Abkommen etwa mit Österreich und der Schweiz geschlossen.

Entgegen langläufiger Meinung sind die Abkommen mit der Umsetzung des Rahmenbeschlusses auch nicht obsolet geworden. Art. 18 des Rahmenbeschlusses eröffnet gerade die Möglichkeit, multilaterale oder bilaterale Vereinbarungen zu schließen.

Deutsch-österreichischer Amts- und Rechtshilfevertrag

Die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung von österreichischen Geldsanktionen findet in Deutschland auch auf Grundlage des deutsch-österreichischen Amts- und Rechtshilfevertrages vom 31.05.1988 statt. Danach können neben öffentlich-rechtlichen Geldforderungen auch Verfahrenskosten vollstreckt werden, wobei die Bagatellgrenze von 25 Euro (ohne Verfahrenskosten) erreicht sein muss. Der Unterschied in dem bilateralen Abkommen besteht darin, dass lediglich verwaltungsbehördliche Entscheidungen umfasst sind, während der Rahmenbeschluss auch die Vollstreckung von Sanktion mit Strafrechtscharakter umfasst.

Das Bundesministerium des Inneren hat zuletzt mit Rundschreiben vom 16.12.2013 die derzeit in Österreich anzusprechenden Stellen mitgeteilt. Das spricht dafür, dass eine Kündigung des deutsch-österreichischen Vertrages auf absehbare Zeit nicht angestrebt sein dürfte. Einerseits geht der Anwendungsbereich teilweise über den EU-Rahmenbeschluss hinaus. Andererseits hat sich, laut Bundesministerium der Justiz, gerade das deutsch-österreichische Vollstreckungsabkommen in der Vergangenheit bewährt. (https://www.bundesjustizamt.de/DE/Themen/Ordnungs_Bussgeld_Vollstreckung/EUGeld/Fragen/FAQ_node.html)

Von der Vollstreckung nach dem deutsch-österreichischen Abkommen sind zudem österreichischen Sanktionen ausgeschlossen, die auf die Nichtbenennung des Lenkers (Fahrzeugführers) durch den Halter zurückgehen. Eine Vollstreckung dieser Sanktionen würde die Grundzüge des deutschen Schuldprinzips und die hohen Standards des deutschen Verfahrensrechts (Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrecht) aushebeln.

Artikel 5 Absatz 1 Nr. 3 des deutsch-österreichischen Amts- und Rechtshilfevertrages sieht zudem den grenzüberschreitenden Austausch von Halterdaten vor.

Deutsch-schweizerischer Polizeivertrag

Obgleich nicht zur Europäischen Union gehörend, sei der Vollständigkeit halber auf das bilaterale Abkommen zwischen Deutschland und der Schweiz hingewiesen.

Der am 01.03.2002 teilweise in Kraft getretene deutsch-schweizerische Polizeivertrag sieht zwar grundsätzlich die Vollstreckung von Geldbußen ab einem Betrag von 70 Schweizer Franken bzw. 40 Euro vor, jedoch sind just die Bestimmungen über die Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften des Straßenverkehrs (Kapitel VI des Vertrages) von der Geltung des Vertrages ausgenommen.

Anwendung findet aber Artikel 35 des Vertrages, der den Austausch von Mitteilungen aus dem Fahrzeugregister vorsehen. Die in einem schweizerischen Bußgeldbescheid benannte Person und der Halter des betreffenden Fahrzeuges müssen daher bei Nichtbezahlung der Geldbuße mit Problemen bei der Wiedereinreise in die Schweiz rechnen. Wurde die Umwandlung der Geldbuße in eine Ersatzhaftstrafe angedroht, muss unter Umständen mit der Verhaftung auf Schweizer Staatsgebiet gerechnet werden. In der Schweiz können groben Verkehrsregelverletzungen bis zu sieben und einfache Übertretungen bis zu drei Jahre ab Rechtskraft des Bußgeldbescheides/Strafbefehls vollstreckt werden.

3. Inkassobüros

Teilweise beauftragen ausländische Bußgeldstellen Inkassobüros − wie die Inkassobüros Nivi Credit oder Euro Parking Collection (EPC) − oder deutsche Rechtsanwälte mit der Einziehung von »Bußgeldforderungen«. Gegenstand dieser Inkassoverfahren sind regelmäßig nicht bezahlte Mautgebühren und Vertragsstrafen für die Parkzeitüberschreitung. Hier ist nach dem Forderungsgrund zu unterscheiden:

Handelt sich bei der Forderung um eine solche mit überwiegend öffentlich-rechtlichem Charakter (d.h. Bußgelder und Gebühren) und sind nicht die Voraussetzungen des Rahmenbeschlusses erfüllt, ist eine Vollstreckung in Deutschland nicht möglich. Für Ansprüche aus öffentlichem Recht, die einem anderen Mitgliedstaat zufließen, sind deutsche Gerichte zudem nicht zuständig. Hier bestehen gute Prozessaussichten, sollte ein Mahnbescheid oder eine Klage von einem deutschen Gericht zugestellt werden.

Handelt es sich bei der Forderung dagegen um eine solche mit zivilrechtlichem Charakter wie z.B. Vertragsstrafen für die Parkzeitüberschreitung oder die Nacherhebung von Mautgebühren in Italien, die durch das Inkassobüro Nivi Credit im Auftrag der italienischen Autobahnbetreibergesellschaft Autostrade per l’Italia SPA eingetrieben werden, sind diese grundsätzlich auch in Deutschland durchsetzbar. Für die Nacherhebung von Mautgebühren gilt etwa eine Verjährungsfrist von zehn Jahren (Art. 2946 Codice Civile). Gegen säumige Schuldner kann in einem gerichtlichen Mahnverfahren bzw. Klageverfahren oder direkt im Weg des europäischen Mahnverfahrens vorgegangen werden. Der gerichtlichen Geltendmachung in Deutschland könnte aber gegebenenfalls die ordre public-Klausel des Artikel 6 EGBGB entgegengehalten werden, wenn die Forderung einfach dem Fahrzeughalter auferlegt wird, dem regelmäßig kein Einverständnis zum Vertragsschluss unterstellt werden kann. Das deutsche Zivilrecht kennt eine derartige »fingierte vertragliche Halterhaftung« nicht. (Neidhart/Nissen, Bußgeld im Ausland, § 1 B Rn. 48)


II. Halterdatenaustausch

Die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen setzt aber zunächst eine effektive Verfolgung und Ahndung verkehrsrechtlicher Ordnungswidrigkeiten und Straftaten voraus. Da ausländische Behörden keinen Zugriff auf die Halterdaten haben, können sie beim Kraftfahrtbundesamt die Halterdaten anfordern.

Neben dem deutsch-österreichischen Vertrag über die Amts- und Rechtshilfe in Verwaltungssachen und dem deutsch-schweizerischen Polizeivertrag kann der Halterdatenaustausch bei Fehlen bilateraler Abkommen in Europa auf Grundlage der sog. Enforcement-Richtlinie (RL 2011/82/EU) erfolgen, mit der die Verfolgung und Ahndung der wichtigsten die Straßenverkehrssicherheit gefährdenden Verkehrsdelikte durch einen grenzüberschreitenden Halteraustausch innerhalb der Europäischen Union erleichtert werden soll. Erfasst sind etwa Delikte wie Geschwindigkeits- und Rotlichtverstöße sowie die Handynutzung am Steuer und auch Trunkenheitsfahrten oder Fahrten unter Einfluss berauschender Mittel. Das Falschparken ist von der Richtlinie nicht erfasst.

Aufgrund des geregelten Austauschs von Halterdaten können Fahrzeughalter durch die europäischen Mitgliedsstaaten leichter ermittelt und schneller über Verkehrsverstöße im Ausland informiert werden. Das hat für deutsche Staatsbürger in deutscher Sprache zu erfolgen.


III. Verfahrenshergang des Vollstreckungsverfahrens

Bei der Vollstreckung ausländischer Entscheidungen handelt es sich um eine Aufgabe des Bundes, die dem Bundesamt für Justiz (BfJ) in Bonn als zentrale Bewilligungsbehörde zugewiesen wurde.

Geht beim Bundesamt ein Vollstreckungsersuchen eines europäischen Mitgliedstaates ein, wird zuerst geprüft, ob die erforderlichen Vollstreckungsunterlagen (§ 87a IRG) vollständig vorliegen, d.h. das Original oder eine beglaubigte Abschrift der zu vollstreckenden Entscheidung oder und ein unterzeichneten Formblatt, andernfalls lehnt es die Vollstreckung als unzulässig ab. Liegen die erforderlichen Unterlagen vollständig vor, wird weiter geprüft, ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen (§ 87b IRG) erfüllt sind und kein Bewilligungshindernis (§ 87c IRG) besteht. Das Bundesamt hat die Vollstreckung insbesondere abzulehnen, wenn

  • die der Vollstreckung zugrundeliegende Tat in Deutschland keiner Sanktion unterworfen ist; solange also nur Verstöße gegen die den Straßenverkehr regelnden Vorschriften, einschließlich Übertretungen der Vorschriften über Lenk- und Ruhezeiten und des Gefahrgutrechts erfasst sind, bestehen grundsätzlich keine Bedenken,

    Ausnahme »Halterauskunft«: Der Vollstreckung nicht zugrundeliegen dürfen dagegen Fälle, in denen der Halter eines Fahrzeugs keine Auskunft über den Fahrzeugführer gegeben hat und wegen dieser Nichtbenennung eine Geldsanktion verhängt wurde. Eine solche Halterauskunft (mittelbare Halterhaftung) besteht etwa in Österreich, Italien, Spanien und Großbritannien und ist bußgeldbewährt.

    Ist der Halter aber zugleich Fahrzeugführer, könnte er sich nach deutschem Recht auf die verfassungsrechtlich geschützte Selbstbelastungsfreiheit berufen, um nicht in die Gefahr der Strafverfolgung zu kommen (hierzu: Mitwirkungspflichten contra Aussagefreiheit unter https://www.dittmann-hartmann.de/Fachbeitraege-von-Andreas-J.-Tryba); ist der Halter mit dem Fahrzeugführer bspw. verheiratet, verwandt oder verschwägert, kann er sich nach deutschem Recht auf das Zeugnisverweigerungsrecht berufen.

  • die verhängte Geldsanktion einen Betrag von 70 Euro nicht erreicht,
  • der Betroffene wegen der Tat im Inland verfolgt wurde und gegen ihn bereits eine verfahrensabschließende Entscheidung ergangen ist,
  • für die der Entscheidung zugrundeliegende Tat auch die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben ist und nach deutschem Recht bereits Vollstreckungsverjährung eingetreten ist,
  • der Betroffene nach deutschem Recht aufgrund seines Alters strafrechtlich nicht verantwortlich handelte (Strafunmündigkeit) oder strafrechtliche Immunität genießt,
  • der Betroffene in einem schriftlichen Verfahren nicht über die Möglichkeiten zur Anfechtung und bestehende Fristen informiert wurde,

    Rechtliches Gehör im Ausgangsverfahren: Es kommt nur auf die Gewährung rechtlichen Gehörs an. Der Betroffene muss sich aber im Ausland gegen einen ungerechtfertigten Tatvorwurf aktiv zur Wehr setzen. Einwände gegen den Tatvorwurf müssen also in der jeweiligen Landessprache oder eine vom betreffenden Mitgliedsstaat akzeptierten (Amts-)Sprache geltend gemacht werden. Lässt der Betroffene das ausländische Verfahren ohne Gegenwehr über sich ergehen, kann er im Vollstreckungsverfahren grundsätzlich keine Einwände mehr gegen den Tatvorwurf erheben.

  • der Betroffene im Falle von Abwesenheitsurteilen nicht die Möglichkeit hatte, sich in einem mündlichen Termin zu äußern,
  • der Betroffene in dem ausländischen Verfahren keine Gelegenheit hatte einzuwenden, für die der Entscheidung zugrunde liegende Handlung nicht verantwortlich zu sein und dies gegenüber dem Bundesamt für Justiz geltend macht (d.h. nicht von Amts wegen zu prüfen) .

Liegen diese Voraussetzungen alle vor, wird geprüft, ob ein Antrag auf Umwandlung durch das zuständige Amtsgericht zu stellen ist (§ 87i IRG). Eine Antragspflicht besteht, wenn die übermittelte Entscheidung gegen einen bestimmten Betroffenen gerichtet ist, z.B. gegen eine juristische Person oder in der Entscheidung eine Geldsanktion verhängt wurde, die das deutsche Recht nicht kennt. Hintergrund ist, dass nach Artikel 9 Absatz 3 des Rahmenbeschlusses Geldsanktionen auch dann gegen juristische Personen vollstreckt werden können, wenn der Grundsatz der strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen im Vollstreckungsstaat nicht anerkannt ist. Nach dem gemeinschaftsrechtliche Verständnis des Begriffs der juristischen Person, kann gegen alle juristischen Personen vollstreckt werden, die nach dem Recht eines Mitgliedstaates gegründet wurden und ihren satzungsmäßigen Sitz, die Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben. (vgl. BT-Drucks. 17/1288, S. 31 f.)

Ist ein Umwandlungsantrag nicht zu stellen, werden die vollständigen Unterlagen dem Betroffenen zwecks Gewährung rechtlichen Gehörs überlassen. In dieser Anhörungsphase kann der Betroffene seine Einwände gegen die Zulässigkeit der Vollstreckung vortragen. Nach Ablauf einer Zwei-Wochen-Frist entscheidet das Bundesamt über die Bewilligung (§ 87f IRG). Zahlt der Betroffene, ist das Verfahren beendet. Andernfalls wird in die Vollstreckungsphasen eingetreten.

Gegen die Bewilligung kann binnen zwei Wochen Einspruch eingelegt und eine gerichtliche Überprüfung durch das Amtsgericht am Wohn- oder Aufenthaltsort bzw. Sitz herbeiführen werden. Gegen die gerichtliche Entscheidung des Amtsgerichts ist die Rechtsbeschwerde zum Oberlandesgericht möglich.

Die Gerichte überprüfen nicht mehr die Angemessenheit und Verhältnismäßigkeit der zu vollstreckenden Geldsanktion. Insbesondere darf eine in einem europäischen Mitgliedstaat verhängte Geldbuße nicht reduziert werden (OLG Hamm, SVR 2014, 30). Auch wird die der Bewilligung zugrunde liegende Tat nicht mehr geprüft. Es ist daher nicht mehr möglich, erstmals Einwände wegen fehlender Verantwortlichkeit geltend zu machen.


IV. Einwand »Halterhaftung«

Einer der Grundpfeiler des deutschen Straf- und Bußgeldverfahrens ist das Schuldprinzip, d.h. es kann nur derjenige belangt werden, der die vorgeworfene Tat auch begangen hat. Auf das Straßenverkehrsrecht angewandt, folgt daraus, dass zur Ahndung von Straßenverkehrsdelikten grundsätzlich der Fahrzeugführer ermittelt werden muss.

Deutschland ist einer der wenigen europäischen Mitgliedstaaten, in denen eine eingeschränkte Halterhaftung ausschließlich für den ruhenden Verkehr, also für Verstöße gegen Park- und Halteverbote in Betracht kommt. Gerade im ruhenden Verkehr ist es nämlich schwer zu ermitteln, wer zum Zeitpunkt des Parkverstoßes das Fahrzeug geführt hat. Daher sieht § 25a StVG vor, dass Ausnahmsweise auch der Halter zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn in einem Bußgeldverfahren wegen eines Halte- oder Parkverstoßes der Fahrzeugführer nicht vor Eintritt der Verfolgungsverjährung ermittelt werden kann oder die Ermittlung einen unangemessenen Aufwand erfordern würde. Selbst in diesen Fällen können dem Halter des Kraftfahrzeugs aber allenfalls die Kosten des Verfahrens auferlegt werden.

In gewisser Weise ist der Halter noch verantwortlich für den technischen Zustand und die vorschriftsmäßige Zulassung des Fahrzeugs. Er trägt die Verantwortung für die Nutzung des Fahrzeugs durch Dritte, wie etwa der Fuhrpark-Betreiber für die erforderliche Fahrerlaubnis und Fahrtüchtigkeit der Dritten oder für die Einhaltung der Vorschriften über Besetzung und Ladung des Fahrzeugs sowie die Einhaltung von Lenk- und Ruhezeiten.

Zur Ahndung solcher Straßenverkehrsdelikte, die im fließenden Verkehr begangen wurden, muss dagegen immer der verantwortliche Fahrzeugführer ermittelt werden. Sollte dies nicht gelingen, kann dem Halter gegenüber allenfalls gem. § 31a StVZO eine Fahrtenbuchauflage angeordnet werden, um zukünftige Straßenverkehrsdelikte ahnden zu können.

Die Vollstreckbarkeit ausländischer Geldsanktionen ist daher besonders kritisch zu prüfen, wenn es um Bußgeldbescheide aus europäischen Mitgliedsstaaten geht, die eine umfassende Halterhaftung kennen, wie beispielsweise Belgien, Niederlanden, Frankreich, Portugal und Ungarn. Das deutsche Schuldprinzips steht der Bewilligung entgegen. Es dürfen also keine Entscheidungen vollstreckt werden, in denen der Betroffene sanktioniert wird, obgleich er für die Tat nicht verantwortlich ist. Zur mittelbaren Halterhaftung kann auf das oben bereits Ausgeführte verwiesen werden.

Der Einwand der unzulässigen Halterhaftung wird ausweislich des § 87b Abs. 3 Nr. 9 IRG jedoch nicht von Amts wegen geprüft, sondern nur, wenn er ausdrücklich geltend gemacht wird. Schweigt der Betroffene in der Anhörungsphase, kann er den Einwand fehlender Verantwortlichkeit nicht mehr im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Bewilligung geltend machen. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei dem Betroffenen um eine natürliche oder eine juristische Person handelt. (OLG Braunschweig, BeckRS 2013, 04487; Riedmeyer, NZV 2014, 18, 21)


V. Schlusswort

Die grenzüberschreitende Vollstreckung europäischer Bußgeldbescheide ist umständlich und deren Voraussetzungen schwer zu erfassen. Wer sich effektiv gegen einen Bußgeldbescheid aus den EU-Nachbarländern wehren möchte, muss frühzeitig ansetzen.

Selbst wenn das Bundesamt der Justiz aber die Vollstreckung in Deutschland ablehnt, bedeutet das nicht, dass Geldsanktionen nicht innerhalb der Vollstreckungsverjährungsfristen in den europäischen Mitgliedsstaaten vollstreckt werden können, in denen die Tat begangen wurde oder mit denen möglicherweise umfassende bilaterale Vollstreckungsabkommen bestehen (so z.B. für Geldsanktionen und Gefängnisstrafen aus Straßenverkehrsstraftaten zwischen den nordischen Ländern Dänemark, Schweden, Island, Finnland und Norwegen).

Bei »EU-Pendlern« mit Arbeitsplatz im europäischen Ausland und Wohnsitz in Deutschland, kommt zu diesem Zweck etwa eine Gehaltspfändung in Betracht. Bei Urlaubern droht die Vollstreckung vor Ort bei der nächsten Urlaubsreise. Diese Drohkulisse verleitet selbstverständlich dazu, selbst unberechtigte Bußgeldbescheide zu begleichen.

Auf letzteres scheint offenbar Italien zu setzen. Hier kann sich vor Urlaubsantritt oder Zahlung des Bußgeldbescheides die Prüfung der Vollstreckungsverjährungsfristen lohnen. So erlischt die Verpflichtung zur Bußgeldzahlung in Italien beispielsweise, wenn das Anzeigenprotokoll nicht innerhalb von 360 Tagen nach Deutschland zugestellt werden konnte (Art. 201 Codice della Strada). Es gibt allerdings keine einheitliche Rechtsmeinung dazu, wann genau diese Frist zu laufen beginnt. (vgl. Neidhart/Nissen, Bußgeld im Ausland, § 2 H Rn. 37 ff.)