Gemäß §§ 23, 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) bedarf in Betrieben, die regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigen, die ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers, der länger als sechs Monate in einem Arbeitsverhältnis steht, der sozialen Rechtfertigung. Neben der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung aus verhaltens- und personenbedingten Gründen regelt § 1 KSchG als dritte Variante der ordentlichen Kündigung die sogenannte betriebsbedingte Kündigung.
Eine betriebsbedingte Kündigung ist „sozial gerechtfertigt“, wenn sie durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG). § 1 Abs. 3 KSchG sieht zudem vor, dass als weitere Schranke eine (korrekte) Sozialauswahl durchgeführt wird.
Hieraus leiten sich folgende Prüfungspunkte ab:
-
Wegfall des Beschäftigungsbedarfs durch ein dringendes betriebliches Bedürfnis
-
Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit / Verhältnismäßigkeit
-
Sozialauswahl
1. Wegfall des Beschäftigungsbedarfs
Ausgangspunkt jeder betriebsbedingten Kündigung ist stets eine „freie“ unternehmerische Entscheidung, die z. B. darin bestehen kann, Änderungen an der Organisationsstruktur des Betriebs oder Produktionsänderungen vorzunehmen, Tätigkeiten räumlich zu verlagern oder fremdzuvergeben („Outsourcing“).
Die unternehmerische Entscheidung kann sich aus außerbetrieblichen oder innerbetrieblichen Gründen ergeben.
-
Außerbetriebliche Gründe: Bewegungen des Marktes, wie Auftragsmangel oder Preisverfall
-
Innerbetriebliche Gründe: Wegfall von Hierarchieebenen, Rationalisierung von Produktionsprozessen, Stilllegung von Produktionsbereichen, Neufestlegung der Belegschaftsgröße usw.
Die unternehmerische Entscheidung unterliegt einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Insbesondere wird nicht auf betriebswirtschaftliche Sinnhaftigkeit, Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit geprüft, sondern ausschließlich darauf, ob die Entscheidung offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (BAG 31.07.2014 – 2 AZR 422/13; BAG 29.11.2007, NZA 2008, 523). Für die Entscheidung ist keine besondere Form vorgegeben (BAG v. 05.04.2001 – 2 AZR 696/99).
Achtung: Je näher die eigentliche Organisationsentscheidung an den Kündigungsentschluss rückt, desto mehr muss der Arbeitgeber durch Tatsachenvortrag verdeutlichen, dass ein Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer entfallen ist – insbesondere, wenn sich Organisationsentscheidung und Kündigungsentschluss praktisch nicht voneinander unterscheiden (BAG 18.05.2006, BeckRS 2006, 44103).
Ursächlich durch die unternehmerische Entscheidung muss der Beschäftigungsbedarf entfallen sein, z. B. durch Reduzierung von Aufgaben oder Arbeitsverdichtung. Allein der Aspekt der Kostenreduktion ist unzureichend (BAG 22.05.2003 – 2 AZR 326/02).
Der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs darf nicht nur vorübergehender Natur sein, sondern muss dauerhaft gegeben sein. Daher sind die Anforderungen an eine betriebsbedingte Kündigung trotz Kurzarbeit enorm hoch (BAG 23.02.2012 – 2 AZR 548/10). Dabei ist nicht erforderlich, dass der konkrete Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers entfällt, sondern, dass sich aus der unternehmerischen Entscheidung rechnerisch ein Überhang an Arbeitskräften ergibt, aufgrund dessen unmittelbar oder mittelbar das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt. Welche konkreten Arbeitsplätze betroffen sind, ergibt sich dann im Rahmen der Sozialauswahl.
2. Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit / Verhältnismäßigkeit
Vor Ausspruch einer Beendigungskündigung als ultima ratio hat der Arbeitgeber die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung an anderer Stelle oder zu anderen Bedingungen im Betrieb oder Unternehmen zu prüfen.
Wichtig ist, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, einen anderen Arbeitsplatz frei zu kündigen, nur um eine Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers mit ungünstigeren Sozialdaten zu erreichen. Es sind nur Arbeitsplätze zu berücksichtigen, die zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs unbesetzt sind oder deren Freiwerden bis zum Ablauf der Kündigungsfrist mit hinreichender Sicherheit vorhersehbar ist (z. B. Auslaufen einer Befristung). Wenn die Überbrückung des Zeitraums zumutbar erscheint, sind nach dem BAG auch Arbeitsplätze einzubeziehen, die in absehbarer Zeit nach dem Beendigungstermin frei werden.
Zudem sind freie Arbeitsplätze nur insoweit einzubeziehen, als sie mit dem bisher vom Arbeitnehmer innegehabten Arbeitsplatz vergleichbar sind. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts gem. § 106 GewO den Arbeitnehmer ohne Änderung seines Arbeitsvertrages auf dem anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigen kann.
Wenn nur ein Teil der von der Kündigung betroffenen Arbeitnehmer auf einem freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden kann, wendet das BAG § 1 Abs. 3 KSchG, der die Kriterien der Sozialauswahl regelt, analog an.
Die fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Unternehmen ist Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Das bedeutet: Vor Ausspruch einer Kündigung müssen alle milderen Mittel ausgeschöpft werden. Dazu zählen u. a.:
-
Vorrangiger Abbau von Leiharbeitnehmern
-
Kurzarbeit (bei vorübergehender Reduzierung des Arbeitsvolumens)
-
Änderungskündigung
-
Weiterbeschäftigung nach zumutbarer Umschulung und Fortbildung (zumutbar z. B. zweimonatige Umschulung nach vierjähriger Betriebszugehörigkeit – BAG 26.03.2015, NZA 2015, 1083)
3. Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG
Soweit die unternehmerische Entscheidung nicht in der Stilllegung des gesamten Betriebs besteht, schreibt § 1 Abs. 3 KSchG die Durchführung einer Sozialauswahl wie folgt vor:
„Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.“
Die Sozialauswahl ist immer dann vorzunehmen, wenn aus einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer nur ein Teil entlassen wird. Wird eine erforderliche Sozialauswahl nicht oder nicht richtig vorgenommen, ist die Kündigung unwirksam.
Die Sozialauswahl erfolgt in drei Schritten:
-
Ermittlung der vergleichbaren Arbeitnehmer
-
Erhebung und Abwägung der Sozialdaten
-
Herausnahme von Leistungsträgern
a) Vergleichbare Arbeitnehmer
Die Ermittlung der vergleichbaren Arbeitnehmer erfolgt betriebsbezogen. Vergleichbar sind Arbeitnehmer, die nach arbeitsplatzbezogenen Kriterien austauschbar sind. Das ist der Fall, wenn die jeweiligen Tätigkeiten – nach der Vor-/Ausbildung und unter Berücksichtigung des Direktionsrechts – ohne größere Probleme übernommen oder zugewiesen werden können. Der Vergleich vollzieht sich ausschließlich auf der gleichen Hierarchieebene (horizontale Vergleichbarkeit).
Nicht vergleichbar sind u. a. Arbeitnehmer, die keinen allgemeinen Kündigungsschutz genießen oder die kraft Gesetzes unter Sonderkündigungsschutz stehen und daher ordentlich unkündbar sind. Die Vergleichbarkeit von Mitarbeitern mit unterschiedlichem Arbeitsvolumen (Vollzeit/Teilzeit) hängt vom Inhalt der unternehmerischen Entscheidung ab.
b) Kriterien der Sozialauswahl
Für die Sozialauswahl sind nach der aktuellen Gesetzeslage folgende Kriterien maßgeblich:
-
Lebensalter
-
Dauer der Betriebszugehörigkeit
-
Unterhaltspflichten
-
Schwerbehinderung
Der Arbeitgeber hat zunächst anhand eines Punktesystems eine Bewertung vorzunehmen. Anschließend muss er eine abschließende Gesamtbewertung unter Berücksichtigung individueller Besonderheiten vornehmen.
Ein vom Bundesarbeitsgericht bestätigtes Punkteschema (BAG 05.12.2002 – 2 AZR 549/01):
-
Betriebszugehörigkeit: je Dienstjahr 1 Punkt, ab dem 11. Jahr 2 Punkte (max. 70 Punkte)
-
Lebensalter: je Lebensjahr 1 Punkt (max. 55 Punkte)
-
Unterhaltsverpflichtungen: je Kind 4 Punkte, verheiratet 8 Punkte
-
Schwerbehinderung: bis 50 % = 5 Punkte, darüber je 10 % weitere 1 Punkt
Zudem können weitere soziale Härten berücksichtigt werden, z. B. Pflegebedürftigkeit von Familienmitgliedern, Schwierigkeiten bei der Arbeitsvermittlung oder Alleinverdienerschaft.
Zur Erhaltung einer ausgewogenen Altersstruktur ist es möglich, Altersgruppen zu bilden. Vom BAG gebilligt wurden Stufen in Zehn-Jahres-Schritten, beginnend mit 25 oder 30 Jahren und endend mit 55 oder 60 Jahren (BAG 06.09.2007, NZA 2008, 405).
Besteht ein Betriebsrat und handelt es sich um eine Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung gem. § 111 BetrVG, haben Arbeitgeber und Betriebsrat über einen Interessenausgleich zu verhandeln. Sind die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einer Namensliste in einem Interessenausgleich bezeichnet, kann die Sozialauswahl nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.
c) Leistungsträger
Im dritten Schritt darf der Arbeitgeber Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung wegen ihrer besonderen Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur erforderlich ist, von der Sozialauswahl ausnehmen (BAG 26.03.2015, NZA 2015, 1122).
Fazit: Strenge Anforderungen an die betriebsbedingte Kündigung
Insgesamt sind die zu beachtenden Kriterien einer betriebsbedingten Kündigung für Arbeitgeber kaum noch überschaubar. Hinzu kommen ggf. Beteiligungsrechte eines Betriebsrats, wie in § 111 BetrVG (Beratung über Betriebsänderungen), § 112a BetrVG (erzwingbarer Sozialplan), § 102 BetrVG (Anhörung), sowie zusätzliche Herausforderungen wie die Massenentlassungsanzeige i. S. d. § 17 KSchG.
Eine rechtzeitige rechtliche Beratung ist daher für Arbeitgeber wie für Arbeitnehmer in jeder Hinsicht wertvoll.