Der Krankenstand ist so hoch wie nie zuvor, und hohe Lohnfortzahlungskosten belasten die Unternehmen. Besonders nach Eigenkündigung von Arbeitnehmern oder Arbeitgeberkündigungen steigt die Krankheitsanfälligkeit eklatant. Umso mehr stellt sich die Frage, wann und wie lange ein Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall besteht, und, was ein ärztliches Attest wert ist.
Anspruch auf Lohnfortzahlung bei Krankheit
Grundvoraussetzung des Lohnfortzahlungsanspruchs nach § 3 EFZG ist, dass das Arbeitsverhältnis länger als 4 Wochen besteht. Erkrankt ein Arbeitnehmer nun und ist aufgrund der Krankheit gehindert, die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit auszuüben, hat er Anspruch auf bis zu 6 Wochen Lohnfortzahlung pro Jahr, je nachdem sogar länger.
Elektronische Krankmeldung: Nachweis der Arbeitsunfähigkeit
Spätestens 3 Tage nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit ist diese durch Vorlage bzw. – inzwischen – Bereitstellung einer elektronischen Krankmeldung nachzuweisen.
Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Die Arbeitsgerichte erkennen der ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung seit jeher einen besonderen Beweiswert zu. Diese ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und daher wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Die Vorlage eines ärztlichen Attests im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG reicht aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen. Der Richter kann entsprechend den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit in der Regel als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (so die ständige Rspr., vgl. BAG 26. Oktober 2016 – 5 AZR 167/16).
Wann kann der Beweiswert erschüttert werden?
Der besondere Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann jedoch erschüttert werden. Dabei reicht es nicht aus, die Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen „bloß zu bestreiten“. Der Arbeitgeber muss tatsächliche Umstände darlegen und im Bestreitensfall beweisen, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers aufkommen lassen, so dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Die Anforderungen der Rechtsprechung an den Vortrag des Arbeitsgebers waren sehr hoch; problematisch ist hier insbesondere die fehlende Kenntnis von der Diagnose hinter dem Attest.
BAG-Rechtsprechung: Wandel bei Kündigungen und Attesten
Urteil vom 08.09.2021 (5 AZR 149/21)
„Wird ein Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis kündigt, am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst.“ …
Urteil vom 13.12.2023 (5 AZR 137/23)
In einer weiteren Entscheidung (BAG – Urteil v. 13.12.2023 – 5 AZR 137/23) ging es um folgenden Sachverhalt: Ein Arbeitnehmer erhielt während bestehender Arbeitsunfähigkeit (Laufzeit der Erstbescheinigung) eine Kündigung und reichte in der Folge mehrere Folgebescheinigungen ein, so dass die Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende der Kündigungsfrist fortbestand. …
Urteil vom 21.08.2024 (5 AZR 248/23)
In einem weiteren Fall (BAG Urteil v. 21.08.2024 – 5 AZR 248/23) arbeitete das BAG die Umstände, unter denen Zweifel an dem Attest begründet sind, weiter heraus. …
Folgen für die Praxis
Die Quintessenz ist, dass im Prinzip jede Arbeitsunfähigkeit, die in engem zeitlichen Zusammenhang mit einem Kündigungsentschluss des Arbeitnehmers oder einem dem Arbeitnehmer bekannten Kündigungsentschluss des Arbeitgebers steht, ausreichen dürfte, um bei Fortbestand der Arbeitsunfähigkeit bis zum Beendigungstermin den Beweiswert des Attests zu erschüttern. …
Wie muss der Arbeitnehmer im Prozess reagieren?
Allerdings ist das Verfahren mit der Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch nicht gewonnen. Der Arbeitnehmer kann und muss prozessual reagieren – vor allem, wenn er tatsächlich arbeitsunfähig ist –, indem er vorträgt, welche Erkrankungen die Arbeitsunfähigkeit begründen.