Die soziale Auswahl bei der betriebsbedingten Kündigung - unter Berücksichtigung der aktuellen Gesetzeslage und Rechtsprechung

Friedrich W. Dittmann,
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht


Neben der verhaltensbedingten Kündigung (Vertragsverletzungen) und der personenbedingten Kündigung (z.B. Krankheit) gibt es als 3. Variante der ordentlichen Kündigung die so genannte betriebsbedingte Kündigung. Unter der Voraussetzung, dass Sie bei der Planung und der Umsetzung der betriebsbedingten Kündigung alle Notwendigkeiten berücksichtigen, ist dieser Weg die Möglichkeit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mit den besten Erfolgsaussichten.

Folgende Voraussetzungen sind zu prüfen:

  1. Ein dringendes betriebliches Bedürfnis, das einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegensteht.
  2. Die fehlende Möglichkeit der Weiterbeschäftigung an anderer Stelle, ggf. auch zu geänderten Bedingungen.
  3. Die korrekte soziale Auswahl.

Soweit die unter 1. und 2. genannten Kriterien erfüllt sind, stellt sich die Frage nach der sozialen Auswahl. Die soziale Auswahl ist immer dann vorzunehmen, wenn aus einer Gruppe vergleichbarer Arbeitnehmer nur ein Teil entlassen wird.

Vergleichbar sind Arbeitnehmer immer dann, wenn ihre Arbeitstätigkeiten ohne größere Probleme austauschbar sind. Dies ist nicht gegeben, wenn ein Arbeitnehmer erst nach langwieriger Ausbildung (mehr als 4 Monate) die zum Vergleich herangezogene Tätigkeit ausüben kann.

Für die Austauschbarkeit von Arbeitnehmern für bestimmte Arbeitstätigkeiten ist es allerdings erforderlich, dass der Arbeitgeber im Wege der Direktionsbefugnis und nicht erst durch eine Änderungskündigung dem sozial schutzwürdigeren Arbeitnehmer den Arbeitsplatz zuweisen kann. Insofern muss vor Ermittlung der Vergleichsgruppe jeweils im Arbeitsvertrag geprüft werden, wie weit die Direktionsbefugnis geht, d.h. wohin der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Zweifel im Betrieb versetzen kann, ohne eine Änderungskündigung.

Teilzeitkräfte sind mit Vollzeitkräften vergleichbar, wenn es dem Arbeitgeber lediglich um die Reduzierung eines Arbeitszeitvolumens geht, ohne dass organisatorische Entscheidungen über die Gestaltung der Arbeitszeit auf bestimmten Arbeitsplätzen getroffen wurde. In diesem Fall kann nämlich der Arbeitgeber die Gesamtmenge des nach seiner Einschätzung abzubauenden Arbeitszeitvolumens durch Addition von Teilmengen bis zum Umfang des abzubauenden Arbeitsvolumens bilden, ohne dass es aus seiner Sicht einen Unterschied machen würde, wie groß die einzelnen Teilmengen sind. Es steht also der sozialen Auswahl der Arbeitnehmer, denen diese Teilmengen zugeordnet sind, nichts im Wege. Ergibt sich bei dieser Auswahl ein Rest, indem nämlich für den sozial Schutzbedürftigsten der zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmer ein nennenswertes Restvolumen verbleibt, so muss der Arbeitgeber, wenn das vertraglich vereinbarte Arbeitszeitvolumen jenes Arbeitnehmers größer ist, als das nach dem geplanten Stundenabbau verbleibende Zeitvolumen, nach den Grundsätzen des Vorrangs der Änderungskündigung diesem Arbeitnehmer gegenüber eine Änderungskündigung aussprechen und im die verbliebene Arbeitsmenge anbieten (vergl. BAG NZA 2005, 523 ff.).

Für die soziale Auswahl sind nach der aktuellen Gesetzeslage folgende Kriterien zu berücksichtigen:

  • Lebensalter
  • Dauer der Betriebszugehörigkeit
  • Unterhaltsverpflichtungen
  • Schwerbehinderung

Der Arbeitgeber hat zunächst anhand des Punktesystems eine Bewertung vorzunehmen und muss dann allerdings eine abschließende nochmalige Bewertung anstellen unter Berücksichtigung etwaiger Sondereffekte, um individuellen Besonderheiten Rechnung zu tragen.

Folgendes Punktschema hat sich bewährt und wurde auch durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) bestätigt (BAG, Urteil vom 5.12.2002 - 2 AZR 549/01; EZ1 § 1 KSchG Soziale Auswahl Nr. 43):

Grunddaten für die Auswahl
  1. Dauer der Betriebszugehörigkeit
    Die aktuelle Beschäftigungszeit und die frühere Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber
  2. Lebensalter des/der Mitarbeiter/in
    Vorruhestand, Altersteilzeitarbeit und Rentenbezugsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen
  3. Unterhaltsverpflichtungen
    Gesetzliche Unterhaltsverpflichtungen/-ansprüche, Verdienst des Ehegatten - insbesondere Doppelverdienst
  4. sonstige Gründe

    • Arbeitsmarktchancen
    • Vermögensverhältnisse bleiben außer Betracht, weil auf der privaten Lebensführung des/der Mitarbeiter/in beruhend und kündigungsrechtlich irrelevant sind
    • Gesundheitszustand


Punkteschema für die Gewichtung der Kriterien
  1. je Dienstjahr Betriebszugehörigkeit 1 Punkt
    ab dem 11. Dienstjahr je Dienstjahr 2 Punkte
    bis max. zum 55. Lebensjahr, d.h. max. 70 Punkte
  2. Lebensalter für jedes volle Lebensjahr 1 Punkt
    bis max. zum 55. Lebensjahr, d.h. max. 55 Punkte
  3. je unterhaltsberechtigtem Kind 4 Punkte
    verheiratet 8 Punkte
  4. Schwerbehinderung bis 50 % 5 Punkte
    über 50 % je 10 % 1 Punkt
  5. endgültige Auswahl unter Abwägung weiterer Gesichtspunkte wie z.B. Pflegebedürftigkeit von Familienmitgliedern, Schwierigkeiten bei der Arbeitsvermittlung, Alleinverdienerschaft, soziale Härten im Einzelfall

Generell ist hierzu festzustellen, dass dem Arbeitgeber bei der Erstellung des Punktesystems ein Ermessensspielraum zusteht. Nach dem Gesetzeswortlaut (§ 3 III 1 KSchG) hat der Arbeitgeber die sozialen Gesichtspunkte ausreichend zu berücksichtigen. Der dem Arbeitgeber vom Gesetz eingeräumte Bewertungsspielraum führt dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer mit Erfolg die Fehlerhaftigkeit der sozialen Auswahl rügen können.

§ 1 III KSchG erlaubt dem Arbeitgeber auch dann die Verwendung eines Punkteschemas, wenn keine förmliche Vereinbarung mit dem Betriebsrat vorliegt. Der Arbeitgeber ist allerdings gehalten, die Punktetabelle nur zur Vorauswahl zur verwenden. In jedem Fall muss im Anschluss an die Vorauswahl aufgrund der Punktetabelle eine individuelle Abschlussprüfung der Auswahl stattfinden.

Die Rechtsprechung des BAG hat ausdrücklich festgehalten, dass es weder möglich noch angezeigt sei, dem Arbeitgeber hinsichtlich der Gewichtung der 3 Kriterien Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltspflichten abstrakte Vorgaben zu machen. Jedenfalls kommt nach der derzeit geltenden Fassung des Gesetzes der Betriebszugehörigkeit keine Priorität gegenüber den anderen Kriterien zu. Maßgeblich sind vielmehr jeweils die Umstände des Einzelfalles. Dies gilt auch für die Frage, ob und wie sich der Doppelverdienst auf die soziale Auswahl auswirkt.

Auch für den Umstand des Doppelverdienstes sind keine abstrakten Vorgaben zu machen. Die Frage, ob der Arbeitgeber berechtigt ist, den Doppelverdienst zulasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, ist dahingehend zu beantworten, dass der Arbeitgeber nicht verpflichtet ist, diesen Umstand zulasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Es ist mit der Werteeinschätzung des Grundgesetzes unvereinbar, dass der Arbeitgeber im Ergebnis verpflichtet würde, einem verheirateten Arbeitnehmer nur wegen seiner familiären Bindung zu kündigen. Im Ergebnis ist in der Regel daher die Punktezahl zuzuordnen, es sei denn, es ist definitiv bekannt, dass es sich um Doppelverdiener handelt. Nur im letztgenannten Fall sind bei der Einzelbewertung keine Punkte zu gewähren.

Im Mittelpunkt der aktuellen Gesetzeslage besteht die Möglichkeit, Arbeitnehmer aus der sozialen Auswahl herauszulassen, wenn betriebstechnische, wirtschaftliche oder sonstige berechtigte betriebliche Bedürfnisse die Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers bedingen und damit einer Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten entgegenstehen. D.h. Arbeitnehmer mit besonderen Fähigkeiten, die von der Vergleichsgruppe abweichen, können bei sachlicher Begründung von vornherein aus der Vergleichsgruppe herausgehalten werden.

Weiterhin gibt das Gesetz dem Arbeitgeber die Möglichkeit, Altersgruppen zu bilden, um die betriebliche Altersstruktur zu erhalten, allerdings nicht, um die Altersstruktur erst herzustellen. Der Arbeitgeber hat bei der Bildung der Arbeitsgruppen einen gewissen Beurteilungsspielraum. Eine gewisse Verzerrung der sozialen Auswahl ist jeder Gruppenbildung - egal in welchen Altersschritten - immanent. Deshalb kann eine soziale Auswahl noch nicht allein mit der Begründung als sozial ungerechtfertigt qualifiziert werden, wenn eine Altersgruppenbildung nicht in 5 Jahresschritten vorgenommen wird, sondern eine Altersgruppenbildung mit längerfristigen Zeitabschnitten (vergl. BAG NZA 2005, 877). Der Arbeitgeber ist im Rahmen der Voraussetzungen der ordnungsgemäßen Altersgruppenbildung darlegungs- und beweispflichtig. Es gehört deshalb zu einem schlüssigen Sachvortrag, im einzelnen darzulegen, welche konkreten Nachteile sich ergeben würden, wenn er die zu kündigenden Arbeitnehmer allein nach den allgemeinen Kriterien (Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltsverpflichtung) auswählen würde. Zum schlüssigen Sachvortrag des Arbeitgebers gehört die Angabe, wie viel Prozent der potentiell zu kündigenden Arbeitnehmer vor Ausspruch der Kündigung den jeweiligen Altersgruppen angehörten und wie die einzelnen Kündigungen auf die einzelnen Altersgruppen verteilt worden sind, damit die bislang bestehende Altersstruktur erhalten bleibt.

Das Kündigungsschutzgesetz macht dem Arbeitgeber allerdings keine inhaltlichen oder zeitlichen Vorgaben für die Bildung der entsprechenden Altersgruppen. Der Arbeitgeber muss darlegen, woraus sich die berechtigten betrieblichen Bedürfnisse für eine Erhaltung der bisherigen Altersstruktur ergeben sollen. Er muss darlegen, welche konkreten Nachteile sich ergeben würden, wenn keine Altersstrukturbildung stattfindet.

Aus der Gesamtsicht wird nachvollziehbar, dass die korrekte soziale Auswahl mit die schwierigste Aufgabe im Zuge der Vorbereitung einer betriebsbedingten Kündigung darstellt und es empfiehlt sich durchaus, frühzeitig fachkundigen Rat diesbezüglich einzuholen.


Friedrich W. Dittmann,
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht